Feminismus

Walpurgisnacht in Dresden: Gegen Rammstein, für queeren Feminismus

5. Mai 2024 - 21:14 Uhr

Am Abend des 30. April ist war es frühsommerlich warm am Jorge-Gomondai-Platz. Während die sich neigende Sonne im Wasserspiel glitzerte, wurde nebenan bereits ein Lautsprecherfahrzeug mit Plakaten und Transparenten behängt.

Die Walpurgisnacht war der Anlass, welcher den Platz zum Treffpunkt für die „Take Back The Night“-Demonstration macht. Rund 300 Teilnehmer*innen hatten sich hier um 20 Uhr eingefunden. Und auch die Bereitschaftspolizei schien das gute Wetter an die Luft zu locken. Nach einem kurzen Auftakt zogen die Aktivist*innen, teils von Feuerwerk begleitet, eine gute Stunde lang durch die Neustadt. Über die Alaunstraße führte sie der Weg zu einer Zwischenkundgebung an der Kreuzung Görlitzer Straße/Louisenstraße („Krawalle“) und weiter zum Alaunplatz als Endpunkt.

„Wir haben uns sehr über die tolle solidarisch-kämpferische Atmosphäre gefreut. Mit ausdrucksstarken Transparenten und lauten Sprechchören haben viele FLINTA (Frauen, Lesben, inter-, non-binäre trans- und agender Menschen ) ihre berechtigte Wut über sexualisierte Gewalt und Unterdrückung auf die Straße getragen. So konnten wir eine selbstbewusste feministische Präsenz in der Neustadt zeigen. Zusammen haben wir erfolgreich die Nacht erobert“, so eine Sprecherin des Orga-Teams.

Foto: Matthias Schwarz

Bundesweit Proteste gegen patriachale Zustände

Die Auftaktkundgebung wurde mit Grußworten aus einigen anderen Städten eröffnet, in denen ebenfalls „Take Back The Night“-Demonstrationen stattfanden. Damit wurde die städteübergreifende Verbundenheit und Solidarität gefeiert. Oft betont wurde zudem der Mut den Organisator:innen und Teilnehmer:innen, aus dem gemeinsamen Protests des Abends schöpfen würden.

Seit 2021 finden in immer mehr Städten am Abend des 30. April „Take Back The Night“-Demonstrationen statt. Diese greifen vor allem in Deutschland, aber auch darüber hinaus eine Protestform gegen patriarchale Gewalt wieder auf. Ab 1977 hatte die Frauenbewegung in zahlreichen westdeutschen Städten Walpurgisnacht-Demonstrationen unter dem Motto „Frauen, wir erobern uns die Nacht zurück“ durchgeführt.
In diesem Jahr wurde unter anderem in Berlin, Bremen, Göttingen, Hamburg, Leipzig und Freiburg demonstriert. In den beiden Hansestädten folgten rund 650 bzw. 500 Menschen (HH) den Aufrufen, in Leipzig und Göttingen gingen ebenfalls jeweils etwa 500 Personen auf die Straße. Die Walpurgnisnacht-Demo in der Hauptstadt war mit 2.800 Besucher*innen auch 2024 die größte.

Bereits zum dritten Mal wurde in Dresden zu der „FLINTA-only“-Demonstration aufgerufen. In den vergangenen Jahren wurden ebenfalls dreistellige Teilnehmendenzahlen erreicht, wie unsere Berichte von 2022 und 2023 zeigen.

Aufruf zu Zorn und Zärtlichkeit

Dieses Jahr schlugen die Organisator*innen in ihrem Aufruf einen Bogen von sexualisierter Gewalt in Kriegen über das Verbot queerer Menschen als „extremistische Bewegung“ in Russland bis zu den Unterlassungsklagen Till Lindemanns gegen Shelby Lynn und andere Frauen, die dem Rammstein-Sänger Missbrauch und Vergewaltigungen vorwerfen.

In der Mobilisierung zu der Demonstration wurde dazu aufgerufen, den Zorn über patriarchale Zustände mit Zärtlichkeit und gegenseitiger Solidarität zu verbinden. Gegen die weltweit stattfindenden Angriffe auf unterdrückte und marginalisierte Menschen sowie gegen „den chauvinistischen Staat, das kapitalistische Patriarchat, religiöse Führer und alle Anderen, die uns unterdrücken“ wolle man „in Anerkennung unserer unterschiedlichen Betroffenheiten Schulter an Schulter zusammen stehen“.

An der „Krawalle“ wurde ein Beitrag der Kampagne „Konsequenzen für Rammstein“ verlesen. Sie fordert unter dem Motto „vor Gericht statt auf die Bühne!“ Konsequenzen ein. Mit Fassungslosigkeit wurde auf die Ignoranz von Fans, Labels und Event-Locations und die fehlende Aufarbeitung aller Betroffenenberichte verwiesen. Auch die Stadt Dresden wurde angesprochen, denn die Auftritte der Band bei ihrer Europatour finden in der Flutrinne statt – die Fläche gehört der Messe Dresden, einem Tochterunternehmen der Landeshauptstadt. Diese solle die eingenommenen Gelder an Projekte für Betroffene von sexualisierter Gewalt weiterleiten. Zum Abschluss wurden unter großem Beifall feministische Rückzugsräume während der Konzerte und eine Demonstration am 15.05. angekündigt.

Mit einem künstlerisch gestalteten Audio-Jingle spann die Gruppe e*vibes den Faden weiter: „Für eine emanzipatorische Praxis bleiben wir nicht still, und erst Recht nicht zu Hause. Täter von der Straße treten!“ heißt es darin. Im Hintergrund hört man Glas zersplittern, während zum vereinten Kampf gegen Kapitalismus und Patriarchat aufgerufen wird.

Die Queer Pride Dresden betonte den ähnlichen Spirit von „Take Back The Night“-Demo und der Queer Pride-Demonstration, die am 22. Juni stattfinden wird. In der Rede wurde dazu aufgerufen, queere und antifaschistische Kämpfe zusammen zu führen. Denn Queerness sei nicht eine Aneinanderreihung von Identitäten abseits der heterosexuellen Norm.  Sondern sie bedeute, den gesellschaftlichen Status Quo in Frage zu stellen und „normative Strukturen gegen den Strich zu bürsten“. Die angestrebte solidarische, empowernde und klassenlose Gesellschaft sei allerdings nicht ohne Antifaschismus zu erreichen. Dieser sei eine Antwort auf die gleichermaßen menschenfeindliche Umtriebe von FaschistInnen, Neuer Rechten und deren rassistischer und von überhöhten Männlichkeitsvorstellungen geprägten Ideologie. So erkläre sich auch das Motto der diesjährigen Queer Pride „Queer and antifascist – unite and resist!“

Die im Aufruf beschworene Solidarität zeigte sich auf der Görlitzer Straße, als die Polizei den Demonstrationszug abstoppte und begann, den vorderen Block abzufilmen. Zuvor waren einzelne Bengallichter und Rauchfackeln gezündet worden. Ein Beamter zeigte vollen Einsatz zum Schutz der Demonstration vor dieser gefährlichen Pyrotechnik, indem er sich gegen ein Seitenbanner warf und eine Leuchtfackel herunter riss. Kurz schien wie in den letzten Jahren ein polizeilicher Zugriff im Raum zu stehen. Nach einer Durchsage vom Lautsprecherwagen konnten die letzten 200 Meter der Demonstrationsstrecke allerdings von allen Seiten friedlich absolviert werden.

Der Demonstrationszug in der Görlitzer Straße (Foto: Matthias Schwarz)

Auf dem Alaunplatz schloss eine wütende Rede des antifaschistischen Kollektivs Dresden zur extremen Rechten und der verbindenden Funktion, den Antifeminismus in ihr hat, die Demonstration ab. Als politische Strategie sei Antifeminismus gegen die Ziele eines intersektional gedachten Feminismus gerichtet, der für Gleichberechtigung, Gleichstellung und Empowerment aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht stehe. Er könne nicht ohne Queer- und Transfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Ableismus existieren. Im weiteren wurde geschildert, wie patriarchale Gewalt von der extremen Rechten rassistisch umgedeutet wird. Die Verbindung von Antifeminismus und Sexismus biete der extremen Rechten sowohl Anknüpfungspunkte in die bürgerliche Gesellschaft als auch neues Mobilisierungspotential. Gegen die Zunahme von Hass und das Umschlagen von Hass in Gewalt und Femizide brauche es queeren Feminismus und Antifaschismus. Was bereits die ganze Demonstration über in Sprechchören („Ehe, Küche, Vaterland – unsere Antwort: Widerstand“) und auf Bannern („Befreiung unser Ziel – Solidarität unsere Waffe“) zu vernehmen war, brachte das Schlusswort der Rede prägnant auf den Punkt: „Seid laut! Seid wütend! Lasst uns gemeinsam Widerstand gegen dieses System leisten!“

Die Sprecherin der TBTN-Demonstration zeigte sich selbstbewusst und zufrieden mit dem Verlauf: „Die Kriminalisierungsversuche der vergangenen Jahren konnten uns nicht einschüchtern. Dank der Solidarität der Teilnehmenden konnte eine Eskalation verhindert werden und die Demonstration selbstbestimmt bis zum Ende laufen. Unser Programm ist klar: Wir bleiben laut. Wir bleiben wild und widerständig. Und wir stemmen uns patriarchaler Gewalt Schulter an Schulter entgegen. Es war ein großartiges Gefühl, heute gemeinsam unterwegs zu sein und dazu noch Tausende in anderen Städten an unserer Seite zu wissen.“

Nach Ende der Demo gegen 21:30 Uhr verlegte die eingesetzte Bereitschaftspolizei eilig in Richtung Hoyerswerdaer Straße. Dort feierte das Mietenwahnsinn-Bündnis bei einer angemieteten AirBnB-Wohnung den Beschluss des Stadtrates zur Durchsetzung des Zweckentfremdungsverbots. Dieses verbietet die Vermietung von knappem Wohnraum als Ferienwohnungen.

Der Anlass und das gute Wetter hatten viele Menschen angelockt, die auch die Straße zur Tanzfläche erklären wollten. Ein Anliegen, dass die Polizei nicht dulden wollte. Doch auch hier kam es nicht zu einer Eskalation, stattdessen wurde das Image des Stadtviertels als Feierkiez bestätigt. Kompromissbereit drängte man sich auf dem Gehweg, so dass die Tram freie Bahn hat.

Als die politische AirBnB-Party endet, ist es bereits wieder hell. Statt hitzig zu enden, bleibt es diese Nacht in Dresden angenehm warm.

Titelbild: Matthias Schwarz


Veröffentlicht am 5. Mai 2024 um 21:14 Uhr von Redaktion in Feminismus

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